Sie haben sich in St. Ingbert sehr wohl gefühlt – dennoch ist der Umgang mit den Musikern des Internationalen Jazzfestivals nicht immer ganz einfach

 

Seit mehr als drei Jahrzehnten gibt es alljährlich das Internationale Jazzfestival St. Ingbert. Und in dieser Zeit sind viele Künstler in die Ingobertusstadt gereist, um dort ihre Vorstellung von den Blue Notes zu präsentieren. Das ist theoretisch eine einfache Sache. Die Musiker reisen an oder werden vom Flughafen abgeholt. Absolvieren ihren Auftritt, kassieren die Gage und reisen weiter. Oft geht das auch so unproblematisch wie es sich anhört. Doch manchmal ist alles etwas anders.

Etwa beim Auftritt des legendären Schlagzeugers Ginger Baker. Er war 1996 zum 10. Internationalen Jazzfestival St. Ingbert eingeladen. Ungewöhnlich war, dass er sich nicht auf Tournee befand, sondern eigens für den Auftritt eingeflogen werden musste. Dazu war es notwendig, einen passenden Flug zu buchen. Gar nicht so einfach, da der Künstler natürlich zumindest auf Business-Class bestand und die Plätze in dieser Kategorie bei Interkontinentalflügen ebenso beschränkt wie begehrt sind. Trotz horrender Ticketpreise. Der Kontakt zu Ginger Baker war zudem recht kompliziert. Keine direkte Leitung „Hi, Ginger, how are you?“, sondern ein undurchsichtiges Geflecht von Agenten und Agenturen quer durch Europa bis in die USA.

Am Tag der geplanten Anreise erfuhr man in der Festivalzentrale in St. Ingbert, dass irgendetwas mit dem Flug nicht geklappt hatte. Aber Ginger wolle das selbst regeln. Sehr beunruhigend, denn es war bekannt, dass der Künstler aufgrund seines exzessiven Lebenswandels mental stark eingeschränkt war. Wie auch immer, dank eines aufgrund Datenschutzes nicht ganz legalen Tipps des Reisebüros wussten wir irgendwann, dass Mr. Baker tatsächlich in einem Flugzeug nach Frankfurt sitzt. Also wurde der Fahrdienst losgeschickt – es war Vormittag und abends sollte der Auftritt stattfinden. Doch aus Frankfurt beunruhigende Nachrichten. Der Schlagzeuger war nirgends zu finden.

Langsam wurde man in St. Ingbert doch etwas nervös. Keine noch so intensive Recherche ergab, mit welchem Flug Ginger Banker angekommen ist. Bis schließlich eine kreative Stimme aus dem Organisationsteam die Idee hatte, dass der liebe Künstler, genervt und ermattet, wahrscheinlich das nächste Hotel angesteuert hatte. Und tatsächlich, dank wieder einer illegalen Indiskretion eines freundlichen Rezeptionisten konnten wir dem Abholdienst mitteilen, dass sie den Künstler im Flughafenhotel einsammeln könnten. Der Weg nach St. Ingbert war dann nur noch eine Lappalie. Und Ginger Baker, müde und dank diverser eingenommener Mittel, wahrscheinlich ebenso legal wie die Auskünfte über seinen Verbleib, ließ gewisse Zweifel aufkommen, ob er das Konzert überhaupt absolvieren konnte. Doch kaum war der Vorhang geöffnet, spielte Ginger Baker wie ein junger Schlagzeuggott zusammen mit einer engagierten und rücksichtsvollen Band. Vor ausverkauftem Haus natürlich…

Man soll ja keine Vorurteile haben, aber Tatsache ist, dass die Lässigkeit eines französischen Managements sich meist nur schwer mit deutscher Festivalgründlichkeit vereinbaren lässt. Kein Wunder also, dass der Auftritt des legendären Griot-Musikers Mory Kanté einige Überraschungen brachte. Beim Festival im Jahr 2000 war er mit seiner wirklich großen Band für St. Ingbert gebucht. Bereits im Vorfeld gab es beinahe wöchentlich, später fast täglich, neue Bühnenanweisungen, was selbst den professionellsten Bühnentechniker zur Verzweiflung trieb. Und einen Tag vor der Anreise dann die Nachricht: der Künstler und seine Truppe nebst zwei französischen Tourmanagern wollten in Metz, also vor der Grenze nach Deutschland abgeholt werden. Zum einen mit einem Bus, zum anderen mit einer Limousine für den großen Star. Wo aber in der beschaulichen saarländischen Provinz so auf die Schnelle eine Limousine hernehmen? Schließlich wurde das nagelneue Privatfahrzeug eines Organisationsmitglieds, das außer der Farbe nichts mit einer klassischen Limousine gemein hatte, dienstverpflichtet und mit einem vertrauenswürdigen Fahrer ausgestattet. Und tatsächlich, die Truppe kam unversehrt und gut gelaunt an. Mori Kanté war begeistert vom Komfort und Platzangebot japanischer Kleinwagen. Warum man allerdings den Grenzübertritt per Bahn vermeiden wollte, lässt sich aus Indizienbeweisen erahnen. Die Starlimousine roch noch Tage später so stark nach geräucherten Substanzen, dass jede Polizeikontrolle ihre wahre Freude gehabt hätte.

Wie auch immer, die lebhafte Truppe war rechtzeitig in der Stadthalle angekommen. Begleitet von zwei Tourmanagern, die gleich zu Anfang mehr Gage forderten. Sonst würden sie nicht auftreten. Was tun? Mehr Gage – und die auch noch ohne Quittung – kam auf keinen Fall in Frage. Also musste man das Thema irgendwie verzögern. Was unter anderem nach dem Prinzip „Hase und Igel“ gelang. Man verwies die beiden Herren jeweils an andere Ansprechpartner. Die vertrösteten dann. Und irgendwann standen die Künstler dann doch auf der Bühne. Ohne Zusatzgage. Die beiden Tourmanager dürften das nicht mehr bewusst wahrgenommen haben. Denn sobald die geforderten Flaschen harter Alkoholika überbracht wurden, leerten sich diese wie von Zauberhand. Fazit: irgendwann wirft Alkohol auch den stärksten Tourmanager um.

Immer wieder gab es im Lauf der Jahre Situationen, die nachdenklich machten. Etwa, als der Jazzbassist Dave Holland 2004 zu Gast war. Er war zusammen mit seiner Ehefrau gekommen und beide erzählten vom aberwitzigen Gesundheitssystem in den USA. Dank einer schwerwiegenden Erkrankung des Künstlers war eine Behandlung nur möglich, weil er sein Haus verkaufte. Und zusätzlich noch finanzielle Unterstützung von Freuden bekam. Auch sonst hörte sich die Schilderung der USA in der Bush-Ära für uns eher beängstigend an. Heute wäre man dank Trump froh, wenn es politisch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten so zivilisiert zuginge wie damals.

Man erwartet von internationalen Jazzkünstlern eigentlich ein gewisses Maß an Bildung und Benehmen. Doch das ist manchmal, den Lebensumständen der Musiker geschuldet, ein Irrtum. Gerade schwarze Jazzinterpreten aus den USA stammen zum Teil aus eher prekären gesellschaftlichen Verhältnissen. Wenn solche Menschen dann überraschend auf eine Europatournee eingeladen werden, kann das zu massiven Missverständnissen führen. Kein Wunder also, dass die Auftritte des am 2. November 2018 im Alter von 49 Jahren verstorbenen Jazztrompeters Roy Hargrove immer mit einem gewissen Wirbel verbunden waren. Etwa, wenn am späten Freitagnachmittag den Bandmitgliedern plötzlich in den Sinn kam, einen Teil ihrer Gage sofort in bar zu bekommen. Dazu kann man als Veranstalter nicht einfach in eine Portokasse greifen, sondern es sind umfangreiche Verwaltungsvorgänge notwendig, die zudem auch noch von der entsprechenden Stelle geprüft werden müssen. Und am Freitagnachmittag sind natürlich die entsprechenden Mitarbeiter der Stadtverwaltung im wohlverdienten Feierabend. Irgendwie wurde das Problem geregelt und die Herren konnten endlich zum wohlverdienten Shopping. Der Star des Abends selbst litt seit vielen Jahren unter Nierenversagen und war auf Dialysebehandlung angewiesen. Zum Glück gibt es in unserer Region eine reiche Auswahl an Praxen, die das gegen Barzahlung gerne übernehmen. Dass diese Behandlung Wunder wirken kann, erlebten wir, als Roy während des Soundchecks am Nachmittag auf der Bühne zusammenbrach. Schnell war er in der Dialysepraxis und am Abend wieder fit und unnachahmlich virtuos. Ob zusätzlich gewisse Substanzen zur Euphorie des Stars beigetragen haben, kann nur vermutet werden.